Dem Herzen gefolgt und der Sehnsucht nach... - Eine Auswanderung
Wenn auch mit einer Woche Verspätung möchte ich euch in der Auswanderreihe Auswandern - Und dann? Ein Erfahrungsbericht Heike vorstellen. Sie ist ihrer Sehnsucht nach diesem wunderschönen skandinavischen Land gefolgt und mit Kind und Kegel vor knapp zwei Jahren nach Schweden ausgewandert. Ihre Geschichte und ihr Resümee erfahrt im Interview.
Hallo Heike, erzähle doch kurz ein paar Dinge über dich!
Mein Name ist Heike (44) und wir leben seit 06. August 2013 offiziell (mit PN) in Schweden, Hyltebruk, Halland. Wir, das sind mein Mann Lutz (51) meine Tochter sowie meinen Eltern. Seit November 2014 lebt auch meine große Tochter hier bei uns und kann sich ihre Zukunft aufbauen. Seit April 2014 betreibe ich ein Massagestudio, mein Mann hat eine eigene Stugavermittlung und betreibt den dazugehörigen Service.
Warum bist du nach Schweden ausgewandert?
Warum? Mich begleitet im Stillen schon lange eine Liebe zu diesem Land. Das ist aber eine andere Geschichte. Ich war 2012 das erste Mal endlich in Schweden für eine Woche Urlaub. Es war anders als all die anderen Urlaube - ich fühlte: Ich komme nach Hause.
Schwer zu erklären, aber dieses Gefühl hat mich immer begleitet. Nach dieser Woche hatte ich ein ständiges Fernweh und im Oktober fuhren wir wieder hin. Ich wollte wissen, bleibt das Gefühl? Urlaub ist Urlaub, aber wie kann ein Alltag sein? Wie könnte es sein dort zu leben? Und es war wieder so. Ich spielte das erste Mal mit dem Gedanken hier zu bleiben.
Wir begannen uns mit den Modalitäten auseinanderzusetzen. Wir suchten ein zu Hause, welches mein Mann dann fand und von dem wir beide begeistert waren. Meine kleine Tochter war von Anfang an mit einbezogen. Im Dezember nahmen wir meine Eltern mit, damit sie sich auch ein Bild machen konnten. Meine Eltern sind beide krank und es stellte sich bei ihnen die Frage nach der Betreuung im Alter, wie sollen sie ihren Alltag bewältigen. Mein Vater leidet unter Demenz, damit werden wir einen bestimmten Weg gehen. Mutter war begeistert, Vater konnte es selbst nicht mehr einschätzen. Wir haben es gewagt.
Ein weiterer Gesichtspunkt war unsere persönliche Lebenssituation, ich war frisch geschieden, Lutz und ich waren beide selbständig und wir lebten in einer Gegend, die von hoher Arbeitslosigkeit und einer hohen Jugendabwanderung gezeichnet war. Es stand auch die Frage im Raum, wie geht es wirtschaftlich mit uns weiter? Rational betrachtet stand ein Neuanfang im Raum - und den konnten wir auch hier beginnen. Diese Gesamtheit an Aspekten und viele kleine Punkte führten dazu, dass wir nach Schweden gegangen sind.
Konntest du die Sprache vorher schon oder hast du sie erst im Land gelernt?
Meine ersten Worte waren öppet und utfart. Ich habe hier schwedisch gelernt. Erst beim SFI und dann mit meiner Tochter oder meinen Kunden.
Was hat dich an Schweden oder womit haben dich die Schweden am meisten überrascht?
Ich kann erst mal nur über die Menschen aus meiner Umgebung sprechen. Ich mag die Mentalität der Ruhe und der Freundlichkeit. Wir haben viel Hilfe und Unterstützung erhalten. Ich mag diese Unkompliziertheit. Faszinierend finde ich auch diese lange Phase der Überzeugung. Alles was neu ist wird erst einmal begutachtet und beobachtet. Wenn dann etwas für gut befunden wird, dann wird es auch akzeptiert.
Ich mag diese kurzen Bürokratiewege, vieles per Email. Andererseits wieder weite Wege für Pässe und Co. Der Zusammenhalt in unserer Kleinstadt wird großgeschrieben. Immer wieder erlebt man es bei hiesigen Veranstaltungen. Ich bin aber genauso von der Sauberkeit überrascht. Als Beispiel nenne ich nur mal die vielen Papierkörbe und Hundetoiletten.
Wie hast du die soziale Integration in deinem Umfeld erlebt? Hast du schnell Anschluss gefunden?
In unserem ersten Urlaub haben wir einen Schweden kennengelernt, der Kontakt ist geblieben und daraus hat sich eine sehr gute Freundschaft entwickelt. Er war unser Trauzeuge.
Die soziale Integration: wir haben viel Unterstützung und offene Arme bei unserer Kommune erhalten. Damit wurden manche Wege leichter. Wir sind Menschen, die auf andere zugehen können und somit haben wir mit der Integration noch keine weiteren Probleme. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu unseren Nachbarn, welches über die übliche Nachbarschaftshilfe hinausgeht. Wir sind aktiv in einem Verein tätig und haben hier einen regen Austausch. Meine Mutter besucht einmal die Woche einen Seniorenclub, wo sie neben schwedisch auch ihre Muttersprache sprechen kann. Daraus haben sich für sie auch weiter nette Kontakte ergeben. Mein Vater besucht zweimal die Woche eine Demenzstation. Da wird er jeweils mehrere Stunden betreut und meine Mutter kann diese ?Freizeit? so nutzen wie sie möchte. Mit der Betreuung zu Hause haben wir nur gute Erfahrungen gemacht. Wir haben hier uns einen guten Bekanntenkreis aufgebaut (von Freundschaft möchte ich noch nicht sprechen - das dauert ja bekanntlich seine Zeit). Dieser besteht aus schwedischen, deutschen, dänischen, holländischen Männer und Frauen. Durch meine Arbeit habe ich Kontakt zu vielen Nationen, was ich als positiv bewerte.
Mit dir ist deine kleine Tochter ausgewandert. Wie hast du ihre ersten Schritte im schwedischen Schulsystem erfahren?
Als meine Tochter in die Schule kam, wurde sie in eine sogenannte Schwedischklasse aufgenommen. Dort waren Kinder von Emigranten und Einwanderern. Sehr schnell hat sie gelernt und durch diese Konstellation viele Freundschaften zu anderen Nationalitäten aufbauen können. Nach einem halben Jahr konnte sie in die reguläre Klasse wechseln. Sehr schwer fiel es ihr hierbei am Anfang Kontakt zu schwedischen Kindern aufzunehmen. Mit der Zeit hat sich das gegeben, obwohl sie immer noch ihre Freundinnen aus Somalia und Thailand bevorzugt.
Das Schulsystem: Sehr gut finde ich, das keine Noten gegeben werden, damit entfällt dieser Druck. Obwohl Tests geschrieben werden, besteht jedoch nicht die Angst, es nicht zu schaffen. Wenn der Anschluss mal nicht klappt, besteht die Möglichkeit der Förderung. Weniger gut ist der Informationsfluss Schule-Elternhaus. Hier mussten wir am Anfang mächtig drängeln, dass wir über Schuldinge aufgeklärt wurden. Marieke hat das Lernpensum gut gemeistert im ersten Jahr. Wie sich alles weiterentwickelt, dazu können wir bestimmt nächstes Jahr mehr berichten. Sehr gut finde ich den Aufenthalt an frischer Luft, egal wie das Wetter ist und die Verbindung und Vernetzung der Unterrichtsfächer.
Nun hast du schon einige Zeit in Schweden verbracht... Inwieweit stimmen deine Vorstellungen mit denen überein als du nach Schweden ausgewandert bist?
Ich sehe nichts durch eine rosarote Brille- ich bin rundum zufrieden. Ich kämpfe als Selbständige auf dem Markt, arbeite mich Schritt für Schritt vorwärts. Um stetig am Ball zu bleiben, qualifiziere ich mich ständig weiter. Meine Mädchen erhalten eine gute Schulbildung bzw. haben die Chance auf ein Leben nach ihren Vorstellungen. Meine Eltern erhalten eine menschenwürdige Betreuung und können so ihr ?Altern? genießen. Durch die Gruppen in sozialen Netzwerken besteht die Möglichkeit sich auszutauschen und Tipps und Tricks zu erhalten. Mein Freundeskreis aus Deutschland hat die Möglichkeit hier ihre freien Tage zu verbringen, was auch genutzt wird.
Was mich immer noch nervt: ich habe keine Geduld und das Warten auf z.B. Antwortmails- das strengt schon an. Aber ich bin lernfähig.
Ich spreche jetzt mal nur für mich: Ich würd es wieder tun!
Was würdest du Neu-Auswanderer in Schweden als Tipp für einen gelungenen Start mit auf dem Weg geben?
Gute Information über alle lebensnotwendigen Bereiche im Vorfeld. (Broschüren über das Auswandern, Internet, soziale Netzwerke, Arbeitsstellensuche)
Vor Ort ( passt er zum geplanten Alltag? Wege zur Arbeit?) umsehen, testen und prüfen (Infrastruktur). Kontakte schon im Vorfeld knüpfen. Den Umzug planen!!!
Kontakte auch im neuen zu Hause suchen und pflegen. Für eventuelle Baumaßnahmen ortsansässige Firmen wählen. Mit Kindern: Kontakt zu anderen Familien suchen.
Ich glaube, wenn man sich der Mentalität etwas anpasst, offen ist für Neues und Bestehendes akzeptieren kann- dann kann alles leichter werden.
Das war mein Resumee für 16 Monate Leben in Schweden. Vielleicht sollten wir die Fragen jährlich neu beantworten, um festzustellen wo die Entwicklung hingeht :) .
Vielen lieben Dank, Heike, für dein offenes und ehrliches Interview sowie die zur Verfügung gestellten Bilder.