Debatte in Schweden um geschlechtsneutrales Pronomen
Ob "Kivi" ein Junge oder ein Mädchen ist, lässt der Autor mit voller Absicht offen. Der Schwede Jesper Lundqvist hat für sein Kinderbuch eigens ein neues Pronomen erfunden, um genau diese Frage zu umgehen. So verwendete er statt "han" für "er" und "hon" für "sie" das Pronomen "hen", wenn er vom Protagonisten spricht. Lundqvist begründete seine Entscheidung damit, dass Kinder statt Jungen oder Mädchen einfach Kinder sein sollten. Seine Geschichte werde überdies freier, wenn sie sich nicht an den Geschlechtern orientiere müsse. Allerdings sei es nicht sein Ziel, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern verwischen zu wollen. Das Buch selbst handelt von einem Kind namens Kivi, das sich einen Hund wünscht.
Ausgelöst durch das schwedische Kinderbuch "Kivi", das erste in Schweden veröffentlichte geschlechtsneutrale Kinderbuch, ist seit einigen Wochen in Schweden eine Geschlechter-Diskussion entbrannt, die in dieser Offenheit und Vielfältigkeit in Deutschland so nicht denkbar wäre. Hintergrund dieser Diskussion ist die altbekannte Frage nach dem sozialen Konstrukt von Geschlecht. In Schweden ist diese Diskussion inzwischen so weit fortgeschritten, dass die Nutzung eines vollkommen neuen Personalpronomens vorgeschlagen wird, um die Kinder nicht frühzeitig auf angeblich sozial konstruierte Geschlechterrollen festzulegen. So wurde das Kunstpronomen "hen" anstelle von "han = er" oder "hon = sie" geschaffen.
Diese ganze Geschlechter-Diskussion kann man bei newsmill.se verfolgen. Das positive an der Debatte ist die Tatsache, dass im Gegensatz zu Deutschland in Schweden auch Kritiker zu Wort kommen. Dadurch wird im Großen und Ganzen eine ausgewogene Diskussion geführt, die beide Seiten zu Wort kommen lässt. So weisen die Kritiker dieses Kunstwortes "hen" weisen darauf hin, dass Kinder bereits mit Geschlechterrollen geboren werden. Gleichzeitig hinterfragen sie, warum es diesen Drang bei den Befürwortern gibt, allen Menschen ihre Rollen und Selbstverständnisse abzusprechen.
Nun hat diese ganze Gender-Diskussion in Schweden mittlerweile die politischen Kreise erreicht und es wird debattiert, ob das neue Kunstpronomen in den schwedischen Sprachschatz übernommen werden sollte. Und man kann getrost sagen, dass wenn es ein Land auf der Welt gibt, in dem eine solche Initiative Erfolg haben könnte, dann dürfte es wohl Schweden sein.
Der Grund hierfür liegt zum einen in der Sprache: Der Unterschied zwischen Maskulinum und Femininum, dem im Deutschen Substantive und Artikel unterworfen werden, ist mit dem schwedischen Utrum aufgehoben, einer Form für beide Geschlechter. Neben diesem Utrum gibt es wie im Deutschen im Schwedischen auch ein Neutrum. Also macht sich die Differenz der Geschlechter nur bei den Pronomen geltend, so dass sie tatsächlich ein möglicher Gegenstand, weil klein und fest umrissen, einer Sprachreform sein könnten.
Andererseits liegt es an den sozialen und politischen Bedingungen für den Umgang mit der schwedischen Sprache. Denn es gab in Schweden schon einmal, ebenfalls aus Gründen der Gleichbehandlung, eine Sprachreform. So wurde in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren, unterstützt von staatlichen Institutionen, die Anrede "Ni = Sie" aufgegeben und mit Erfolg durch das allgemeine "du = du" als Ausdruck von Freiheit und Gleichheit ersetzt.
Und so verwundert es nicht, dass es Mitte der Woche offiziell hieß: das geschlechtsneutrale Pronomen "hen" ist nun in die schwedische Nationalenzyklopädie aufgenommen worden. In der Online-Ausgabe des größten schwedischen Nachschlagewerks heißt es dazu: "geschlechtsneutrales Personalpronomen anstelle von 'er' und 'sie'." (hen, föreslaget könsneutralt personligt pronomen i stället för hon och han.)
Interessant wird die Frage, wie sich diese ganze Gender-Diskussion weiter auf die offizielle schwedische Sprache auswirken wird und welche Reaktionen es auslösen wird.
Anmerkung: Die schwedische Nationalenzyklopädie wird seit 1980 im staatlichem Auftrag erstellt, um Abhilfe für den Mangel eines umfassenden und modernen Nachschlagewerks in Schweden zu schaffen. Aber damit "hen" offiziell in die Sprache Einzug halten kann, muss es allerdings noch in die "Wörterliste der Schwedischen Akademie" aufgenommen werden.